Holländisches Viertel – Wille und Würde
Holländische Häuserreihen frisch rot-weiß
Ein wenig Grün dabei war´n einst
Vom Alten Fritz erbaut der offen jeder
Religion und jedem Geist und jedem
Handwerk gegenüber war
Kommt her nach Potsdam Hugenotten
Niederländer Russen Alle Nachbarn
Die zu Hause ihren Glauben ihr Gewerke
Ihre Meinung ihre Sprache so
Nicht leben konnten
Und er baute Häuser ließ sie wohnen
ließ sie wirken
Viele kamen
wenig blieben
Und die Häuser steh´n noch immer
innen außen runderneuert
kleine teure edle Läden
für Touristen Sonderpreise
Eine Frau die viele Jahre
Täglich ihren Weg dort nahm
Als Kind als Schülerin als Frau als
Lehrerin als Mutter Großmutter
Und dann
Kam dieser Winter
Einundzwanzig Zweiundzwanzig
Und sie ging nur einmal durch die Stadt
Und durch die Straßen mit den roten
Holländischen Häusern
Und sie durfte nicht in die Boutiquen
Keine Schuhe kaufen
Keine Kleider Röcke Hosen Jacken auch
In kein Café noch Restaurant
In jedem Fenster hing ein Blatt
Papier ein Schild ein Zettel
Darauf stand „Zwei G“
Und da sie keins von beiden hatte
Blieb sie draußen
Frisch gesund
Mit Geld in ihrer Tasche
Kalt war´s draußen und die
Menschen hatten keine Münder
Keine Nasen
Nur noch Augen
Fast erschraken sie vor einem
Vollständigen Antlitz
Und vor´m Lächeln
Eines Andern
Und sie gingen einen Bogen um den
Ehemals geschätzten Mitmensch
So schnell konnte sie nicht weinen
Erst nach einer Woche
Löste sich die Starre
Sie verließ die schönste aller Städte
Ging nach innen
Schloss die Tür
Nach draußen
Und es war ihr einz´ger Wille
den zu leben sie als Mensch in
aller Würde angetreten
Nicht zu stehlen
Nicht zu töten
Nicht falsch Zeugnis je zu reden
Wider ihren Nachbarn noch sich selber
Redlich leben von der eig´nen
Hände Arbeit auch dem Staat
Den Zehnten geben
Kinder hüten
Putzen
Waschen
Tiere retten
Kranken helfen
Alte Pflegen
Singen
Tanzen
Mensch sein eben
Nichts davon hat einen Ausweis
Nichts genügte für den Eintritt
In ein simples Schuhgeschäft
Das Schwerste aber war
Das Herz
Und dessen Tür nicht zu verschließen
Offen bleiben
Notfalls weinen
Mit der Angst dass das nie aufhört
Meine Stadt denkt sie ist seitdem
Anders
Und an jedem roten Haus hängt
Unsichtbar
Ein schwarzer Wimpel
Nein es war nicht nur der kalte
Winter die sie frieren ließ
Es war
Unfassbar
Jeder Mensch der
Seine deine meine
Würde für Zwei G verkaufte
Und der teilnahm an dem
Teilespiel des Hasses und der Ängste
Unantastbar
War die Würde
Der Geimpften
Doch nun steh´n die Häuser
Wieder von der Sonne warmem Licht
Beschienen
Alle Läden offen so als wäre nichts
Gewesen noch vor Wochen
Wieder atmen
Wieder ganz das Antlitz
Wieder darf sie lächeln
Diese Frau ganz sichtbar
Unter´m grünen Strohhut
Mit dem bunten langen Kleid
Wie immer gehen die Touristen
In die teuer hübschen Läden
Guten Tag und guten Weg und
Bitte – Danke – es wird
Immer wieder Frühling
Und die Frau ist
Frei
Von Krankheit und von Ängsten
Und ihr Herz schwebt manchmal auswärts
Es ist offen und
Gesund geblieben
Und im Sommer geht die Frau
Wie neu in viele dieser Läden
Ein und aus und mit und ohne
Etwas kaufen
Vieles passt nicht
Ihre Größe ist verändert
Denn ihr Wille und die Würde
Die sind nicht
Verhandelbar