Nach Hause kommen – der letzte Teil einer Reise
April. Letzter Sonntag. Die letzten Bloggs waren im Dezember, im letzten Jahr. Fünf Monate Schweigen. Was ist passiert? Unaussprechliches?
Ich hätte etwas nicht sagen dürfen. Nicht öffentlich, als Blogg. Sagte jemand, den ich nie sah. Auf dessen Gelände ich unterrichtete. Nein, nicht sein Gelände, es war gemietet, für die syrischen Flüchtlinge. Und ich wurde des Hauses verwiesen, aufgrund meiner letzten beiden Bloggs. Weil etwas darin stand, was jeder wusste, was in den Zeitungen gestanden hatte: Dass in der Barther Jugendherberge Flüchtlinge wohnten. Und dass sie Deutschunterricht bekamen, vom Staat geschenkt, zu dem letztlich nur ein Viertel der Leute ging, weil er freiwillig war.
Das hätte ich nicht sagen dürfen, das wäre geistige Brandstiftung. Sagte der Campleiter.
Hausverbot.
Eine Eigenschaft, die ich im Norden oft vermisst habe: miteinander reden, nicht übereinander, und dann die Keule. Ziemlich genau ein Jahr nachdem mein Mann diese Erfahrung in einem ganz anderen Job im Norden gemacht hatte, ging es nun auch mir so. Ein Dejavú.
Doch der Bildungsträger hat sich stark gemacht. Im neuen Jahr dann doch wieder die Erlaubnis: Weiter unterrichten, aber kein Blogg mehr.
Ich hatte keinen Tag Zeit, diese Entscheidung zu treffen. Schreiben ist mein Leben, ich bin Schriftstellerin, ich liebe das Schreiben. Es ist Klärung, Schönheit, es öffnet, lässt fließen. Auf der anderen Seite die Flüchtlinge, die warteten. Sie haben am ersten Tag meines Ausbleibens pünktlich um neun Uhr im Unterrichtsraum gesessen und allein Deutsch gelernt. Sie haben abends zusammen gesessen, Deutsch gelernt und mir ein Foto von sich und den Büchern per WhattsApp geschickt. Einige haben mich besucht und sich verabschiedet mit: Bis bald! Bis Januar mit Unterricht! Vor allem, sie haben bei der Nachricht, dass ich nicht mehr kommen würde, geweint.
Ich packte meinen Stolz und meine Lust zu schreiben in einen Karton und stellte ihn zu den anderen, die schon für den Umzug gepackt waren. Und ich ging am nächsten Tag zum Unterricht. Tränen in den Augen, irgendwie alle. Schön, dass ich wieder da war. Schön, sie alle zu sehen. Schön, weiter zu arbeiten.
„Guten Morgen! Wie geht`s? Wie gefällt Ihnen das Wetter? Gut geschlafen? Gut gefrühstückt? Was haben Sie am Wochenende gemacht?“
Es war die richtige Entscheidung. Wir haben es zu Ende gebracht. Solange bis das Camp in der Herberge aufgelöst wurde. Alle in Wohnungen oder in eine andere Herberge kamen.
Die Syrer haben sich sehr gewundert, dass es in einem Land wie Deutschland auf der einen Seite diese große Meinungsfreiheit gibt, dass jeder diesseits und jenseits des guten Geschmacks sagen kann, was er so denkt, und dass eine Deutschlehrerin, die bekannte Tatsachen benennt, den Job verliert.
Ich sagte ihnen, es ist die Angst, es gibt so viele Anschläge auf Flüchtlingsheime. Und ich sagte ihnen nicht, dass es sicher noch Gründe gegeben hat, diese Angst anzustacheln: Mißgunst, Neid. Aber wir spürten, dass es etwas gibt, das größer ist: Liebe. Je länger ich diese Gruppe, die täglich freiwillig kam, unterrichtete, je mehr ich sie kennenlernte, umso mehr liebte ich sie. Jeden einzelnen. Und ich weiß, dass sie auch mich liebten. Zum Abschied ein gezeichnetes Portrait, ein gezeichnetes Herz mit meinem Namenszug. Eine Tasse mit „Be My Heart“, aus der ich jetzt Tee trinke. Ein Essen, für mich gekocht. Ein Dekoschriftzug LOVE, der nun im neuen Haus steht. Ein silberner Kelch, Glasvasen, eine rote Tasche…
Jeder von ihnen geht nun einen neuen Weg, in Barth, in Stralsund, in Hamburg, in anderen Städten.
Und ich in Potsdam. Ich wohne in einem schönen Haus in einer wunderschönen Stadt. In MEINER Stadt. Ich habe die Familie und die alten Freunde wieder. Es gibt schon neue Klavierschüler, im PC warten neue Bücher, und in der Volkshochschule warten andere Flüchtlinge…
Aber ich glaube, diese erste Gruppe war etwas Besonderes, und sie werden immer einen Platz in meinem Herzen haben. Sie waren die ersten… und ich vermisse sie hier…
Was das Ankommen hier betrifft – ich bin glücklich, nach Hause zu kommen, und doch, man steigt nie zweimal in denselben Fluss. Es ist wieder ein Neuanfang.
Ich sitze hier am neuen Esstisch, am Familientisch, schaue aus dem Fenster auf Potsdamer Straßen und Häuser, ins wechselvolle Aprilwetter bei 6 Grad Celsius. Und ich denke, wie sieht es in Barth jetzt aus? Sind die zurückgekehrten Kraniche noch zu hören? Oder sind sie längst weiter gen Norden geflogen? Ist es jetzt kühler und die Luft feuchter dort? Gibt es Nachtfrost so wie hier? Fährt die Goethefee heute zum Strand für einen Spaziergang oder geht sie in mein Haus und gießt die letzten Pflanzen, die noch auf Abholung warten? Was macht meine Nachbarin? Was macht die nette Deutschlehrerin, die beim Flug meines Flügels über die Dächer von Barth dabei war?
Wie gehts meinen lieben Schülern (meinen! Obwohl sie längst neue Kurse besuchen!)? Und wie der syrischen Mutter und ihrer Familie? Und wie geht es der süßen Frau aus Bayern, die wegen der Liebe nach Barth kam und die eine nahe Freundin hätte werden können?
Jetzt bin ich da, wo ich hin wollte. Zuhause. Und doch – es bleibt eine Sehnsucht nach Barth und Meer…
Es ist der letzte Sonntag im April. Es ist der letzte Boddenblogg.
Danke meinen Leserinnen und Lesern, danke den Kommentatoren, danke für euer Interesse! Ich wünsche euch alles Liebe!
Wir sehen uns wieder! Bis bald…….
……..im PotsdamBlogg
5 Gedanken zu „Nach Hause kommen – der letzte Teil einer Reise“
Ach ich vermisse dich Hier gab es heute Schneeregen, kalt und ab und zu blinzelte die Sonne hindurch. Ich freue mich auf ein Wiedersehen ❤️
gnadenlose Abrechnung – im Guten wie im Bösen.
Schliesslich und endlich…
Wenn ich am Marktplatz bin, wandert mein Blick zu Deinem Haus, das da so unschuldig steht und sich zu fragen scheint, was es denn um himmels willen falsch gemacht hätte, dass es nun so verlassen ist.
Wenn es doch zugehört hätte, wüsste es, dass es keine Schuld trifft.
Liebe Andrea,
vielen Dank für deine Zeilen, die mich sehr berührt haben. Ich kann deine „Abrechnung“ mit dem Norden gut nachvollziehen. Ab und zu bin ich auch dazu verdammt, mich gegen die Engstirnigkeit von Behörden und einiger Mitmenschen wehren, deren Kreativität bereits vor dem Schreibtisch endet.
Ich ziehe den Hut vor dir und deinem Mann, und davor, dass ihr einen Neuanfang in eurer alten „neuen“ Heimat wagt.
Ich wünsche euch alles erdenklich Gute für euren weiteren Weg.
Super Euch wieder in Potsdam besuchen zu dürfen.
Uns gefällt der Gedanke auch besser.
Hallo Andrea – ich bin freie Journalistin und DaZ-Lehrkraft an einer hiesigen Schule. Auch ich schreibe für mein Leben gern. Ab und zu eben auch über meine Erfahrungen im DaZ-Unterricht oder Erlebnissen innerhalb der Familien, denen ich im Alltag zu helfen versuche.
Ich habe es allerdings noch nicht erlebt, dass mir einer das Bloggen (natürlich solange die persönlichen Rechte gewahrt werden), sprich den Mund, darüber verbieten wollte.
Ich werde Ihren Blog im Auge behalten – vielleicht lese ich ja doch nochmal etwas .
Viele Grüße
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